CHINA-NEGOTIATION
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Interview mit Florian W. Mehring im Freiburger Wochenbericht vom 01.02.2017
PDF der betreffenden Ausgabe des Freiburger Wochenberichts (Siehe S. 5)
„Nährboden für Missverständnisse“
Der Freiburger Chinawissenschaftler Florian Mehring über das Geheimnis spezieller
Verhandlungsrituale
China ist für Deutschland einer der wichtigsten Wirtschaftspartner. Wer in dem fernöstlichen Riesenreich gut verhandeln will,
sollte Knnflikte vermeiden. Der Freiburger Sinologe Dr. Florian W. Mehring hat in seiner jetzt erschienenen Dissertation
untersucht, wie Chinesen in der Volksrepublik China und in Taiwan auf Verhandlungen vorbereitet werden und welche
Konzepte dabei eine Rolle spielen.
Herr Mehring, wie sind Sie bei Ihrer Forschungsarbeit vorgegangen?
Ich habe überprüft, welche Verhandlungsratgeber in China am beliebtesten sind. Dabei habe ich festgestellt, dass es einen
bestimmten Verhandlungscoach gibt, der bei chinesischen Geschäftsleuten besonders beliebt ist: Der Taiwanese Liu Birong.
Erstaunlicherweise ist er im Westen völlig unbekannt. Deshalb habe ich einen seiner Verhandlungsratgeber komplett ins Deutsche
übersetzt und mit einigen relevanten westlichen Ratgebern, verglichen. Das erstaunliche Ergebnis ist, dass in dem chinesischen
Führer zum Teil völlig andere Lösungsansätze vorgeschlagen werden. In meiner Arbeit habe ich diese Unterschiede aufgezeigt.
An wen richtet sich Ihre Untersuchung?
Sie richtet sich vor allem an Menschen, die mit chinesischen Geschäftsleuten verhandeln, aber auch an Menschen, die ihre
Verhandlungskompetenz allgemein erweitern möchten. Es ist zwar eine wissenschaftliche Arbeit, sie ist aber für all jene interessant,
die wissen wollen, wie sich Chinesen auf Verhandlungen vorbereiten. Kurioserweise gibt es zwar viele klischeehafte Annahmen
darüber, wie Chinesen verhandeln, aber kein konkretes Basiswissen, das auch der Realität entspricht. Das ist natürlich der
Nährboden für Missverständnisse.
Stimmt denn das Bild vom Chinesen als knallhartem Verhandlungspartner?
Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass Chinesen gerne so verhandeln, dass wir Europäer am Ende die Verlierer sind. Jede
Verhandlung um eine langfristige Kooperation hat nur ein Ziel, nämliche eine gütliche Einigung, bei der beide Seite einen Vertrag
unterzeichnen. Wenn man bei den Verhandlungen zu rabiat vorginge und sich selbst übervorteilt, wird vermutlich kein Vertrag
zustande kommen, oder aber die Partnerschaft wird nur von sehr kurzer Dauer sein. Nein, kluge nachhaltige Verhandlungen haben
immer das Ziel, dass beide Seiten etwas davon haben.
Dennoch wird natürlich taktiert.
Klar, dass ist das Wesen von Verhandlungen. Ein beliebtes Mittel ist zum Beispiel die Verzögerungstaktik. Das kommt daher, dass
Chinesen Verhandlungen eher als eine Art taktisches Spiel sehen, bei dem sich die Kräfteverhältnisse permanent hin und her
verschieben. Die Wahl des richtigen Zeitpunktes, um einen guten Abschluss zu erzielen, spielt bei den Chinesen eine große Rolle.
Chinesen mögen es, wenn sich Verhandlungen langsam entwickeln. Aus europäischer Sicht wird diese Langatmigkeit gerne als
taktisches Mittel gesehen, um einem zu schaden. Das ist aber nicht der Fall. Chinesen wiederum reagieren nahezu pikiert, wenn das
Gegenüber direkt mit konkreten Punkten loslegt. Ein langsames Abtasten des Gegenübers gehört zur den kulturellen
Gepflogenheiten Chinas.
Hierzulande wird häufig dazu geraten, von Beginn an mit offenen Karten zu spielen. Das ist also ein klassisches Fettnäpfchen?
Ja, das lehnt z.B. an das sogenannte Harvard-Konzept an, wonach beide Verhandlungspartner alles auf den Tisch legen sollen, vor
allem die eigenen Bedürfnisse. Daraus soll dann ein Kompromiss gemeinsam abgeleitet werden. Die Chinesen sind davon weniger
begeistert. Sie sehen das Ganze als Prozess, bei dem man sich nach und nach an eine gemeinsame Linie herantastet. Dieses Sondieren
hat schon fast etwas Rituelles. Daher ist es aus europäischer Sicht kontraproduktiv, gleich alles auf den Tisch zu legen. Zusätzlich
führt es natürlich zu Missverständnissen, wenn die eine Seite alles auf den Tisch legt und sich die andere zurückhält. Die Chinesen
halten ihr Gegenüber für naiv, die Europäer denken, sie haben es mit unehrlichen Verhandlungspartnern zu tun.
Wenn man sich also anschaut, wie sich Chinesen auf Verhandlungen vorbereiten, beugt man solchen Missverständnissen vor?
Ja, das kann man schon so sagen. Man muss einfach wissen, dass Chinesen sehr viel spielerischer an die Sache rangehen. Sie haben
eine große Lust an diesem Spiel. Man kann in diesem Zusammenhang sagen, dass chinesische Geschäftsleute über ein sehr
ausgeprägtes Strategem-Bewusstsein, also einen durchaus listiges Repertoire verfügen, um zum Ziel zu kommen. Dabei handelt es
sich um sehr kluge Arbeitstaktiken, die man gar nicht negativ sehen sollte. Das Ziel ist, wie gesagt, immer eine langfristige
Kooperation.
Abgesehen davon, sind die kulturellen Unterschiede zwischen Chinesen und Europäern wirklich so groß wie es immer heißt?
Nein, wir sind bei weitem nicht so verschieden wie gerne behauptet wird. Im Gegenteil: Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten – sogar
im Humor. Man muss nur aufeinander zugehen.
Abschließend: Welchen guten Rat können Sie deutschen Geschäftsleuten, die für Geschäfte nach China reisen, mit auf den Weg
geben?
Bereiten Sie sich vor, seien Sie nicht überheblich und versuchen Sie eine gute persönliche Beziehung mit dem Gegenüber
aufzubauen. Wenn beide Seiten, die gleiche Sprache sprechen und man gewisse Verhaltenschiffren richtig deuten kann, kommt man
sehr viel schneller zu einem Ergebnis.
Buchtipp: Florian W. Mehring, Die Hohe Schule der Kriegskunst bei Geschäftsverhandlungen, Kommentierte Übersetzung eines an
Chinesen gerichteten Ratgebers des Verhandlungsforschers Liu Birong. 422 Seiten. 99,80 Euro. Verlag Dr Kovac.